Fünf Fragen an Martin Halter, Partner bei Raskin Apps über Jef Raskin
Seit über 20 Jahren basiert Raskin Apps Philosophie auf den Grundprinzipien und Ansätzen Jef Raskins. Was sind die Gründe hierfür?
Die Idee mit dem zoombaren User-Interface hat mich sofort überzeugt: Jef hat die Idee in seinem Buch «The Humane Interface» im Jahr 2000 aufgezeigt, anhand eines Informationssystems eines Spitals.
Als Student an der Hochschule Rapperswil verfassten wir 2001 eine Studienarbeit, in der wir zoombare Benutzerschnittstellen analysierten und einen ersten Prototyp eines Dateibrowsers programmierten. Diesen testeten wir im Usability-Lab der ETH erfolgreich. Jedoch reichte die Leistung der besten Macs nur für die Darstellung einiger Hundert Dateien. 2009 war deren Leistung endlich ausreichend angewachsen, um eine zoombare Benutzeroberfläche für alle Dateien auf dem Mac zu realisieren. Diese haben wir 2010 im Rahmen der Apple Entwicklerkonferenz in San Francisco vorgestellt. Der Name der App: Raskin For Mac.
Auch war Jef Raskin einer der Pioniere von User Centered Design und User Experience. Als Jef mit anderen Softwarearchitekten und -ingenieuren in den 70er-Jahren «Macintosh» entwickelte, waren die Computer sehr schwerfällig in der Bedienung. Es war Usanz, dass Computer kompliziert zu bedienen waren. Was auch auf den Standesdünkel der EDV-Leute zurückzuführen war. Deshalb wurde der Macintosh von ihnen jahrelang als «Spielzeug» belächelt. Jef war seiner Zeit voraus: Er hat durch das Anwenden menschlicher Bedürfnisse nach klarer Ergonomie die Denkweise von Informatiker*innen nachhaltig beeinflusst.
Ein Paradigmenwechsel sozusagen, so ging Jef von der humanen Denkweise an das Schnittstellen-Design heran.
Jef Raskin schrieb 2000 das Standardwerk «The Humane Interface», das auch von Jakob Nielsen gelobt wurde. Ist das Buch heute noch relevant?
Ja, denn geht es um unsere fünf Sinne wie Sehen, Schmecken, Tasten, Hören und Riechen, sind diese in uns wie eh und je verankert.
Das heisst, wir können bis zu ca. 25 Bilder pro Sekunde aufnehmen, ähnlich unserer Urahnen. Das trifft auch auf das Wahrnehmen musikalischer Intervalle zu. Folglich funktionieren der Fokus und die Konzentration auf bestimmte Dinge noch immer nach denselben Regeln.
Neu allerdings sind die Schnittstellen wie Computer, Maus und VR-Headsets. Unser Umgang mit den präsentierten Informationen und Inhalten und deren Rückkopplung bleibt gleich.
Steve Jobs und Jef Raskin waren sich eher fremd. Woran kann das gelegen haben?
Eine Stärke von Steve Jobs war, dass er sein Team von seiner Vision überzeugen, das heisst dass er ein «reality distortion field» aufbauen konnte. Bei der Entwicklung von Macintosh setzte Steve seine Position als Gründer von Apple ein, um den Umfang und den Preis des Endproduktes zu bestimmen. Steve war mit 24 Jahren bereits Millionär und hatte herausragende Kenntnis von Lieferketten und Chippreisen auf dem Weltmarkt.
Steve tendierte hin zum visuellen Menschen mit Schwerpunkten wie Design und Kalligrafie.
Jef Raskin war bei Apple in der Dokumentationsabteilung angestellt. Dort schrieb er mit seinem Team Handbücher. Beim Schreiben der Anleitungen sah Jef jeweils, wo die Bedienung inkonsistent und inkohärent war. Er machte sich Gedanken darüber, wie lange ein System benötigen darf, bis eine Antwort kommt, sodass die User nicht aus ihrem Flow herausgerissen wurden.
Jef tendierte hin zum akustischen Menschen mit stark ausgeprägtem Hörsinn, ähnlich einem virtuosen Musiker.
Ein Thema seines Buches sind Schnittstellen, was ist damit konkret gemeint?
Schnittstellen verbinden den Menschen mit seiner Umwelt. Wir spüren und fühlen uns erst lebendig, wenn wir mit all unseren Sinnen die Welt um uns herum erfassen können.
Konkret wird Jef hinsichtlich Mensch-Maschinen-Schnittstelle. Die Computer haben Bildschirme, Lautsprecher, Kabel und Antennen, die sie mit der Umwelt verbinden. Meist haben sie auch Kameras, um unsere Gesten zu lesen oder Braille-Terminals, um für Menschen mit eingeschränktem Sehsinn die Antworten eines Computers tastbar zu machen.
Im Idealfall funktionieren die Schnittstellen so, dass wir sie einfach bedienen können. Die Schnittstelle soll die Tätigkeiten des Menschen über alles setzen. Eine konkrete Anforderung an die Software ist demnach, dass jeder einzelne Schritt rückgängig gemacht und alle Eingaben sofort gespeichert werden, sodass nichts verloren geht.
Ein weiteres Beispiel, das Jef anführt, ist die hermaphroditische oder geschlechtslose Steckverbindung: Diese Verbindung ist so gestaltet, dass es weder einen Stecker noch eine Buchse gibt. Beide Kabelenden können miteinander verbunden werden – ob als Verlängerung oder als direkte Verbindung.
Bei Signal- und Ladekabel wäre es ein grosser Vorteil, wenn USB-Verbindungskabel auf beiden Seiten bedienbar wären. Für Interessierte hier zum Vertiefen: «Genderless (hermaphroditic) connectors» auf Wikipedia.
Im Bereich des Bahnverkehrs funktioniert dies seit Jahren bestens. S-Bahn-Züge können aneinandergehängt werden, egal ob sie vorwärts oder rückwärts auf dem Gleis. Anders die Brio-Bahn; hier sind die Magnete an den Waggons klar definiert und bestimmen, wie ein Waggon stehen muss.
Welches aktuelle Device kommt der Vision des ersten Macintosh am nächsten?
Das iPad als einfache, konsistente Benutzerschnittstelle in einem handlichen Computer für rund USD 1000. Ich denke, das iPad hätte Jef Raskin gut gefallen.